Rede zur Eröffnung der Ausstellung bei Giese und Schweiger, Wien

Von Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor Albertina Wien
8. März 2023

Ich lernte in Linz bei meinem Lehrer Fritz Aigner zu zeichnen, zu lavieren, zu malen und war dann eigentlich mit der Überzeugung nach Wien gegangen, um auf der Akademie zu studieren. Das war in einer Zeit, als Linz noch ein wirklicher Wüstenstaat war, eine Industriestadt, in der man der Kunst und Kultur gerade einmal in zwei, drei Räumen beim Finanzamt begegnen konnte. Das war der Vorgänger dessen, was heute das Lentos geworden ist, das damals von Peter Baum hervorragend geführt worden ist - da bin ich der Kunst begegnet - und der Gotik und ein bisschen noch dem Barock im Schlossmuseum.

Aber es gab eine Galerie - die Hypo Galerie - die ich nie vergessen werde, in die ich regelmäßig gegangen bin. Dort wurden Künstler und Künstlerinnen ausgestellt, die man vielleicht weniger kannte und heute gar nicht mehr kennt, unter anderem auch einmal Radierungen von Therese Eisenmann. Schon damals bin ich Ihnen begegnet. Ich war in Linz, wir hatten ein Haus auch noch in (Bad) Ischl und ich kannte Gosau, den Gosaukamm und natürlich genauso den Gosaubach sehr sehr gut - und hab dann gesehen an diesem Erlebnis - es war nicht das einzige - dass die Kreativität, das Ingenium, etwas Neues zu erfinden, seine eigenen Empfindungen auszudrücken, letzten Endes doch nicht reicht, und so bin ich Kunsthistoriker geworden und muss heute überlegen, ob ich Sie (er deutet auf Therese Eisenmann) schuldig spreche, weil Sie meine Karriere hier verbockt haben, oder Ihnen danken muss, weil Sie vielen Menschen was erspart haben.

Meine Damen und Herren, ich habe so ein bisschen den Verdacht bei Therese Eisenmann, eine der grandiosesten Druckgrafikerinnen Österreichs, die es in Österreich gibt und darüber hinaus, dass ich gerade deswegen darüber sprechen soll, weil ich halt der Generaldirektor der Albertina bin, und man uns immer noch - und zurecht - mit einem Kernbestand, mit der Grafischen Sammlung der Albertina identifiziert. So wie Herbert Giese gesagt hat, dass es ein bisschen dem Zufall geschuldet ist, dass ausgerechnet heute eine immanente Künstlerin für den Weltfrauentag steht, so ist es ein bisschen ein Zufall, dass wir gerade jetzt in der Albertina und in der Albertina Modern sechs Jahrhunderte der Druckgrafik zeigen. Und das könnte sich nicht besser treffen, als dass ihr unserer Ausstellung geradezu einen Sockel baut, oder dass wir für diese Ausstellung hier einen Sockel errichten, der auf die Bedeutung der Druckgrafik heute hinweist.

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Druckgrafik heute überhaupt noch einen Stellenwert hat. Sie wurde im Wesentlichen im 15. Jahrhundert erfunden, am Anfang des 15. Jahrhunderts der Holzschnitt, in der Mitte des 15. Jahrhunderts der Kupferstich und am Ende des 15. Jahrhunderts die Radierung. Die zentralste Figur schlechthin im Holzschnitt wie im Kupferstich und anfangs auch in der Eisenradierung stellt natürlich Albrecht Dürrer dar - aber dann geht es in riesen Schritten, in Siebenmeilenstiefeln gleichsam dahin und es folgt ein Großmeister nach dem anderen: Im 17. Jahrhundert zweifelsohne alle überragend einer, über den wir noch zu sprechen kommen müssen, wenn wir über Therese Eisenmann reden, Rembrandt. Im späten 18. Jahrhundert wiederum ein Gigant der Radierung - Goya, mit dem auch die Aquatintaradierung an Stelle der Linienätzung - die Flächenätzung - plötzlich ins Leben tritt. Im 20. Jahrhundert der größte Druckgrafiker schlechthin - er ist wahrscheinlich auch der größte Künstler der 20. Jahrhundert überhaupt - Pablo Picasso - der über alles, sei es der Linolschnitt, dem Holzschnitt, der Lithografie und den verschiedensten Formen der Radierung, verfügt hat.

Die Druckgrafik ist deswegen so wichtig gewesen im 15. Jahrhundert, weil es das Kunstwerk reproduzierbar gemacht hat. Und sie hat etwas gemacht, von dem ich überzeugt bin, dass es Ihnen an diesen Arbeiten überhaupt nicht auffällt - und trotzdem verdanken wir das der Druckgrafik: dass sie schwarz-weiß sind. Wenn man glaubt - und das hat man Jahrelang, Jahrzehnte lang gedacht, dass die Druckgrafik eigentlich darunter leidet, das ist gleichsam ihr genetisches Stigma, dass sie meistens schwarz-weiß ist, so muss ich Ihnen umgekehrt sagen: das war ihr größter Fortschritt, denn bis dahin war die Kunst - ob es Fresken sind oder Seccomalerei oder Miniaturmalereien in Büchern waren - war sie färbig und die ersten Holzschnitte wurden daher sofort färbig gemacht, wurden nachträglich koloriert, durch Wasserfarben im Wesentlichen, Aquarelle oder andere Deckfarben, nur bloß nicht schwarz-weiß.

Die Wirklichkeit wiederzugeben, die innere, gesehene, oder die äußere, wahrgenommene, setzt einen hohen Abstraktionsgrad voraus. Über den verfügen Sie alle, die sie hier heute stehen, so sehr, dass sie in einer Radierung vieles sehen, aber nicht mehr, dass sie schwarz-weiß ist - dass die Welt nicht schwarz-weiß ist. Wir denken heute oft, die Vergangenheit sei schwarz-weiß, denn die ersten Bilder, die wir sehen - denken wir an die 20er-Jahre, sicher, da waren die Bilder schwarz-weiß, das frühe 20. Jahrhundert sicher nur schwarz-weiß. Man ist dann ganz schockiert, wenn man durch komplizierteste Technologien rekonstruieren kann, welche Farben da dahintergestanden sind, und dann sehen wir plötzlich, dass dieses zurecht ganz düstere tausendjährige Reich, das der Nazis untergegangen ist, einmal unglaublich lebendig, vital und bunt war. Es war eine der großen Errungenschaften der Druckgrafiken, die Welt in das Schwarz-Weiß zu übersetzen.

Das Zweite war die Vervielfältigung, auch das war ein gewaltiger Schritt. Da wollte heute einem Hundertguldenblatt, dem teuersten Werk, das Rembrandt hinterlassen hat, das war kein Gemälde - das war eine Radierung - "Lasset die Kindlein zu mir kommen", so Jesus, es ist gleichsam mit der Heilung Jesus verbunden - aber es war ein Werk - dass die Zeitgenossen bereits so hochgeschätzt haben, dass sie dafür einhundert Gulden bezahlt haben und das Werk schon zu seinen Lebzeiten nicht nach seinem eigentlichen Thema aus dem Neuen Evangelium benannt haben, sondern nach seinem Preis - Hundertguldenblatt. Sie können es derzeit in der Albertina sehen.

Diese Reproduzierbarkeit hat natürlich auch die Konsequenz gehabt, dass Menschen wie du und ich sich die größten Meisterwerke leisten konnten. Schlicht und ergreifend deshalb, weil sie nicht nur einmal, sondern vielleicht zwanzigmal, hundertmal - oder vielleicht wie bei Rembrandt meistens dreihundertmal, davon haben in der Regel zwischen ein, fünfzig oder hundert Stück überlebt - existiert hat. Diese Reproduzierbarkeit war ein wichtiger Punkt, der da auch noch eine Rolle spielt, weil Therese Eisenmann die hohe Auflage, korrumpiert durch den hartnäckigen Missbrauch in den 70er-Jahren, den Hundertwasser und viele andere mit der Druckgrafik getrieben haben, das waren tausender, zehntausender Auflagen, sich wieder zurückzieht und ganz kleine Auflagen nur macht, letzten Endes das Kunstwerk wie ein Bollwerk durch die geringe Auflagenzahl schützt gegen den Schwund, den Bedeutungsschwund, der durch die Omnipräsenz, von Druckgrafiken auch entstehen kann und entstanden ist und zu einem Preisverfall geführt hat.

Ein weiterer Aspekt, bevor ich auf das Werk selber eingehe, den man mit der Druckgrafik verbinden muss, ist, dass sie im Unterscheid zur Zeichnung - die kennt Korrekturen, man kann etwas ausradieren, man kann etwas überzeichnen und übermalen, aber wirklich verschiedene Zustände kennt. Man kann insbesondere bei der Radierung vollkommen neue Werke schaffen, wenn man nicht als Kenner wüsste, was hinter dem ersten Zustand steht, würde man bei Rembrandt oft beim zweiten, dritten vierten oder achten Zustand überhaupt nicht mehr erahnen, dass es sich um dieselbe Radierplatte handelt, die nur entsprechend überarbeitet worden ist.

Wir haben dafür zwei paradigmatische Werke jetzt in der Albertina gezeigt und auf die möchte ich angesichts dessen, was das Reh hier im Wald macht (deutet auf das Werk "Was sagt mein Reh?") zu sprechen kommen. Das eine ist das "Ecce Homo" - hier steht ein Mensch, er steht am Abgrund und vor ihm eine Menschenmasse, die seinen Kopf verlangt. Da kann Pilatus sagen, was er will, diese Masse verlangt den Kopf dieses Menschen. Das hat Rembrandt fasziniert, der Gedanke, dass hier eine anonyme Masse steht und er dort oben verurteilt wird. Dann hat er das ganze durchdacht und gedacht: wenn das einem wiederfährt, man steht allein, einer Mauer an Menschen gegenüber und spürt plötzlich seine absolute Verlassenheit und Einsamkeit, kann ich die nicht doch besser ausdrücken, in dem ich alle Menschen verschwinden lassen? Und im dritten, vierten Zustand verschwinden die, sie sind nicht mehr drauf, auf einer Überhöhung steht er nun ganz allein - dieselbe Platte, überarbeitet. Die selbe Platte, der wir hier begegnen in einem zweiten Zustand. In ihrem ersten Zustand ist es nicht das Reh, das hier erscheint oder vielleicht verschwindet, sondern wie denn überhaupt das gesamte Werk von Therese Eisenmann eigentlich gar nicht so sehr von der Natur handelt, oder dem Wasser, der Urgewalt des Menschen, vielleicht etwas zutiefst wieder zu diesem Weltfrauentag passendes, der Urgewalt der Frau, des Femininen, repräsentiert haben, sondern eigentlich vom Mythos des Erscheinens, und im Augenblick des Erscheinens - des Verschwindens handelt. Denn was hier das Reh ist, ist im ersten Zustand ein Kind. "Was macht mein Kind" hier - und Spuren dieses Kindes finden Sie durchaus, wenn Sie bei den Füßen links unter dem Reh schauen, bei den ganz fein ziselierten und herausgeritzten Farnen, wieder.

Therese Eisenmann liebt es, eine Radierung zu machen und eine zweite darüberzulegen und eine dritte und am Ende ist es wie eine Palimpsest, eine mittelalterliche Malerei, bei der immer wieder auf Grund der Kostbarkeit des Pergamentes abgeschabt und überarbeitet wird oder bei Fresken überarbeitet wird und wir die Spuren des Urbildes immer wieder mit sehen. Nicht wie einen Fehler, nicht wie einen Irrtum, oder weil es nicht gelungen ist, das Urbild nicht ganz zum Verschwinden zu bringen, sondern weil die Welt transparent ist zu einer zweiten, dritten, vierten Welt. Das ist eine unterschwellige, fast subkutane Surrealität, die dem gesamten Schaffen von Therese Eisenmann - meines Erachtens - inne wohnt. Daher erscheint ein Auge, von dem man sich fragt: ist es jetzt hier in diesem Zustand gekommen oder blickt es uns aus einem vorherigen Zustand noch an. Ein Gesicht aus der Ferne, wie eine wage Erinnerung, die einem nicht auslässt, und die man trotzdem nicht ergreifen kann, weil sie nicht mehr Realität ist.

Dieses überarbeiten können, dafür war Rembrandt ein Großmeister. Auch sein zweites Werk, das in diesem Zusammenhang zu nennen ist, "Die drei Kreuze". Am lichten Tag wird Jesus gekreuzigt, und da stehen die drei Kreuze, und um ihm die Menschen, und in der letzten Fassung ist es pechschwarze Nacht, und dahinein kommt wie von Zauberhand plötzlich ein Reiter des 15. Jahrhunderts. Er geht auf ein Fresko von Pisanello zurück, das Rembrandt vom Stiche kannte, und steht da als Longinus, eine historische Gestalt, der die Lanze in der Hand hält und erkennen muss: das ist ein Menschensohn gewesen, der bereits tot ist. Wasser statt Blut tritt aus der Seite aus. Aber vor allem diese Überarbeitung fasziniert zudem. Wir sehen dadurch, dass der gesamte Mythos einer Hinrichtung eines Gottessohnes, der Mensch geworden ist, nur durch die Überarbeitung der Radierung so viel an Geistestiefe gewinnen konnte. Das spüre ich in diesem Schaffen sehr (er deutet auf Therese Eisenmann).

Nun komme ich auf einen Aspekt zu sprechen, den ich nicht verleugnen kann, manche unter Ihnen werden sich noch daran erinnern. Ich halte es gar nicht für eine Jugendsünde von mir, aber als ich der Chef von der Albertina geworden bin, habe ich gesagt, wir werden der druckgrafischen Technik als Technik keine große Aufmerksamkeit widmen. Wir sind ja nicht die Volkshochschule Brigittenau, bei der man dann lernt, wie man endlich eine Aquatintaradierung macht, oder wie verschiedene Techniken der Radierung zu unterschiedlichen Resultaten führen - wer das lernen will, der geht in wunderbare Akademien wie in die Hochschule in Linz, eine der besten Ausbildungsstätten, die auch Therese Eisenmann in den frühen 70er-Jahren besucht hat, oder er geht in Wien in eine der großartigen Volkshochschulen, wo das auch gelehrt wird - das ist nicht die Aufgabe der Albertina. Die Aufgabe der Albertina ist, Kunst zu zeigen, kein Mensch geht ins Kunsthistorische Museum, um endlich den Pinsel schwingen zu können. Obwohl ich das gesagt habe, möchte ich in dem Zusammenhang noch auf einen technischen, auf einen ursächlich technischen Aspekt zu sprechen kommen, weil er in das Wesen, in den Inhalt, in den Gehalt dieser Kunst direkt einführt. Das hat einmal mit dem Format zu tun: wir haben zwei Teile der Ausstellung: einmal im alten wie im neuen Haus, die diametral einander gegenüberstehen. Man spürt das sofort: man geht in die alte Ausstellung hinein und hat Dürer und Bruegel, Rembrandt und Holthuys, Toulouse-Lautrec oder Emil Nolde, im späten 19, 20. Jahrhundert Edvard Munch und Künstler bis zu Miro, aber etwas haben die alle gemeinsam: sie sind in einem überschaubaren Format. Das liegt einmal daran, dass man seit dem 15. Jahrhundert Papier nicht groß herstellen konnte, das ist erst ein Privileg jüngster Zeit, dass man überhaupt in großen Formaten Papiere machen kann, und dann sind wir unbunt, farbig - das ging erst im Plakatdruck im späten 19. Jahrhundert und dann durch die synthetischen Farben, die in den 50er Jahren erfunden worden sind.

Gehen Sie in die (Albertina) Modern, dann haben wir die Formate auf einmal 2 x 3 oder 3 x 4, 2 x 5 Meter ob das Kiefer oder Gertsch ist, gigantische Formate und der Siebdruck als neue Technik. Hier haben Sie die alte Radierung, jene traditionelle Radierung, die eigentlich im kleinen Format, im intimen Ritzen, Herausstechen wie beim Kupferstich, Herausritzen der Kupferplatte, der Zinkplatte, der Stahlplatte sein Größtes findet, aber in den großen Formaten. Das ist ungewöhnlich, und auch dieses große Format reicht oftmals nicht. Wenn Sie den Feuersalamander, dieses giftige Symboltier des Terrestrischen, sehen, dann merken Sie, es ist aufgezogen auf eine Leinwand, er braucht Luft, er muss atmen. Da hat sie überhaupt kein Problem, verschiedene Medien wie ein Messie zu mischen und die Stahlplatte wie ein Ergebnis aus Papier auf die Leinwand zu kleben und das Platt zu erweitern - das ist ein Überschreiten der Gattungsgrenzen, das sehr ungewöhnlich ist für hier zu tiefst authentische und großartige Druckgrafiker oder Druckgrafikerinnen wie Therese Eisenmann.

Jetzt komme ich zum Abschluss: Diese großen Formate, es gibt dabei eines, was mich persönlich damals, 1977, und heute wieder - nach so vielen Jahren und Jahrzehnten begegne ich Ihnen wieder - sehr fasziniert hat: das ist die Kaltnadelradierung. Und Sie wissen, mit Radieren hat das nichts zu tun, das wissen wahrscheinlich alle hier von Ihnen, die Radierung kommt von "radere", das heißt ritzen, und mit den verschiedensten Instrumenten ritzt man in die Stahlplatte oder in die Zink- oder Kupferplatte hinein und reibt dann die Farben in die tiefen Rillen hinein, darum Tiefdruck - und druckt das dann. Ebenso bedeutend, wie der Künstler, ist der Drucker, in diesem Fall ist es Rudi Hörschläger, denn der kann es ruinieren das Werk, oder er kann es feiern, ihm helfen und ihn unterstützen. In dem Fall ist ein kongenialer Partner gefunden worden, denn die Kaltnadelradierung hat einen riesen Nachteil - wer ihn beherrscht, wird zu einem grandiosen Vorteil: wenn Sie in eine Platte hineinritzen, an statt das Metall herauszuschneiden, dann ist es weg, dann entsteht ein Grat. Und an diesem Grat hält sich die Farbe, die ich mit dem Ballen, mit meiner Faust hineintreibe - mit Seide oder mit einem Stoffballen - die fängt sich dort. Und das Ganze wird unscharf, unkontrolliert bis zu einem gewissen Grad. Wer das beherrscht, wer die Virtuosität von Rembrandt, von Goya, von Picasso, von Therese Eisenmann in diesem Fall hat, der kann in der Kaltnadelradierung Dinge herauszaubern, die es so nicht gibt.

Die Thematik, die in diesem Werk auftaucht, ist die Natur, ist die Urgewalt der Natur. Zeitgenössisches, urbanes Leben - wir sind hier mitten in Wien, Verkehr, den entsetzlichen Lärm, den eine Stadt eindringen lässt - das finden Sie vergeblich. Es ist eher die Einsamkeit, die kontemplative Stille, die monatelang, jahrelang - ich glaube, 13 Jahre lang verbringt Therese Eisenmann immer wieder im Gebirge, im Hochgebirge - zieht sich vollkommen zurück vom Trubel, von den Abwechslungen, von den Zerstreuungen der Welt, der Großstadt - aber das Naturerlebnis, das lässt sie nicht aus, das übersetzt sie in diese gigantischen Wasserfälle, die alles überschwemmen, alles unterdrücken und trotzdem in ihrer Leichtigkeit eine Symbolfigur dessen sind, was das Leben ist: es kommt, es schwemmt uns weg, es überschwemmt uns, es lässt uns ertrinken, es lässt uns auftauchen, es ist durchsichtig, es ist klar, es ist undurchsichtig, es ist gefährlich, es ist eigentlich eine Heimat - alles gleichzeitig, daher handelt diese Kunst schon vom Leben. Da mag nicht das Leben auf der Straße gemeint sein, da mag nicht die Urbanität überhaupt zu spüren sein, aber das Leben, die Existenz, die ist es schon. Sie ist wahrscheinlich die existenziellste Künstlerin, die im Augenblick Österreich hat, mit einer Technik, die vom 15. Jahrhundert zu uns heraufblickt.

Und wenn ich irgendetwas an dieser Ausstellung vielleicht bedaure, sehr tief bedauern muss, dann, dass ich sie nicht vor wenigen Monaten gesehen habe, weil sie dann Teil einer Ausstellung wäre, die Sie hoffentlich derzeit in der Albertina nicht versäumen werden. Aber wir drei zusammen ergeben ein gutes Triumvirat - Giese und Schweiger und wir mit den zwei Standorten und feiern das, was Sie (deutet auf Therese Eisenmann) können, nämlich die Kunst der Druckgrafik als eine der schönsten Künste, die der Menschheit geschenkt wurde. Ich danke Ihnen für Ihre große Geduld jetzt und genießen Sie diese prachtvolle Ausstellung von Therese Eisenmann.

Dankeschön!

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