Faszination Kunst –
Faszination Natur

Bemerkungen zum Werk von Therese Eisenmann

Eine Laudatio für Therese Eisenmann anläßlich der Verleihung des oberösterreichischen Landeskulturpreis für bildende Kunst von Wolfgang Stifter.

Die Faszination, die von Kunst ausgeht, erreicht den Rezipienten auf verschiedensten Wegen. Oftmals, und das wäre der Idealfall, oder sollte eigentlich, ohne Vorschreibungen machen zu wollen, der Normalfall sein, ist es das Werk selbst, vor dem man staunend, fassungslos, irritiert oder gebannt verweilen muss, weil man im Innersten getroffen ist. Die Fach­welt nennt dieses Phänomen „Introjek­tion“ oder „Selbstkongruenz“, d. h. das Werk ist deckungsgleich mit einem selbst, mit seinem eigenen Empfinden.

Der zweite Weg führt über die Person der Künstlerin/des Künstlers, über das selbst gewählte Lebensmodell, über den Mut des „Anders-Seins“, weil die Neugierde, einer Sache auf den Grund zu gehen, den künstlerisch empfindsamen Men­schen dazu treibt, rücksichtslos zu sein, rücksichtslos vor allem gegenüber sich selbst. Sicherheiten sind nicht gefragt, sondern unsichere Verhältnisse, die Subtilitäten an die Oberfläche schwemmen.

Bleiben wir vorerst bei diesen beiden Wegen, sie treffen auf Person und Werk von Therese Eisenmann in besonderer Weise zu. Zunächst ist es naturgemäß der Mensch an sich, der das Interesse der Künstlerin in den ersten zwanzig Schaffensjahren magisch anzieht, seine Schicksale und Lebensumstände, die Beziehungen und Beziehungslosigkeiten trotz oder wegen des zwangsweise engen Nebeneinanders im gelebten All­tag. In vielen Positionen werden sie bildhaft in unzähligen Varianten zu- oder nebeneinander im grafisch abgesteckten Raum platziert. Von der Farbe her sind die Arbeiten stark auf Grau- und Weiß­töne reduziert, und damit diese Schick­sale, weil sie so oft und immer wiederkehrend „natur­gemäß unausweichlich“ sind, wie es Tho­mas Bernhard formulieren würde, eine grundsätzliche Allge­mein­gültigkeit erhalten, wird die Individualität der Gesichter gelöscht, überschabt, verundeutlicht, zu einem namenlosen Ge­sicht umgearbeitet. Aus jeder Person wird so ein Fall, ein typologisches Exempel.

Therese Eisenmann wählt mit Vorliebe als Lebensumstände Erschwernisse, die für den Normalbürger unverständlich sind, denn nur dort wird für sie ohne die Ober­flächentünche des Zeitgeistes der Blick auf die Verhältnisse ungetrübt möglich. Karge Umstände lenken nicht ab, sondern fokussieren auf das Wesentliche. Diese Suche nach dem Grundsätzlichen, dem Wesentlichen von Welt/Leben/Sein/ Natur ist der Kernpunkt ihrer künstlerischen Arbeit.

Drei Motivgruppen ersetzen in ihrem aktu­ellen Werk den Blick auf den Men­schen und sind dem aufmerksamen Beobachter im Gedächtnis: Wasserwelten, Gebirgsmassive und die zoologische Gruppe der Felidae und Panthera, übersetzt: die Spezies der Katzen und Großkatzen. Zunächst interessiert hier die Frage, wieso können diese Motive das künstlerische Ringen um Wahrheit über das Menschenbild, um die Facetten menschlicher Schicksale ersetzen?

Sie können, das sei vorweg einmal festgestellt: Das Elementare der Existenz, das Komplexe der Vielfalt, der Zusam­men­halt der Elemente, Entwicklung und Detail, große Linie und Mikrostruktur bilden so die Nuancen des Menschlichen korrekt ab und replizieren die Schicksale menschlicher Existenz auf einer abstrakteren oder übertragenen Ebene. Ansatz­weise möchte ich hier eintauchen in die dichten Bildwelten von Therese Eisen­mann, wenn sich beispielsweise in so spezifischer Art die Wassermoleküle kräuseln, sich zu dicken Lippen zusammenziehen, dazwischen glatte Flächen bilden, die von schlierigen, sich permanent wandelnden Kraterwänden umgeben sind, Tröpfchenmuster bilden, auf und ab wogen, rhythmisch und zugleich gestört im erwarteten Gleichklang. Auftürmen und Aufbegehren, Hochgefühl und zu­rück Eintauchen in die Massen, Quer­strö­mungen, Richtungswechsel, Verdichtun­gen, Ausdünnen, Ruhe – und das alles auf einigen wenigen Quadratdezimetern: dichte Bilder, ein umgedichtetes, geniales Abbild der unermesslichen Dichte des Meeres, des ewig schleckenden Was­sers, wie es Homer uns so oft in Sprach­bildern vorführt.

Anderes Beispiel: Synonyme für Persön­lichkeit: Großkatzen voller Spannkraft, die gelangweilt ihre Eleganz zur Schau tragen, ihre schwungvollen Lenden präsentieren und mit nachlässigem Blick das Publikum taxieren, Assoziationen er­wünscht? Das fühlbare, ins Bild gesetzte Gegensatzpaar von Ruhe und Schnell­kraft ist das Ergebnis.

Besonders beeindruckend sind diese Sujets von Eisenmann in Radierungen und Kaltnadelarbeiten umgesetzt, und dies ist für den Rezipienten der dritte Weg an Möglichkeiten, sich an ein Kunst­werk anzunähern: Der Entstehungspro­zess. Wer schon Gelegenheit hatte zu beobachten, mit welcher Konzentration und Intensität mit Radierwerkzeug, scharfen Nadeln, Schabern und Polierstahl die Künstlerin/der Künstler akribisch die Furchen und Rillen in eine Platte ritzt, ahnt etwas vom Eintauchen in ein Bild­motiv. Ganz anders als die flott hingeworfene Skizze erfordert die Tiefdrucktechnik Disziplin, Planung und Vorstellungskraft wegen des Umstandes, dass seitenverkehrt gedacht werden muss. Schritt für Schritt in verschiedenen Ätzstufen und diversen Lagen dichter Strichbündel schält sich langsam, noch fast unsichtbar das Motiv aus der Platte. Erst im Druck manifestiert sich abrupt und fertig das Motiv: ein Bergmassiv. Fast wie ein Bild­hauer hat vorher die Künstlerin das Werk aus dem Grund ge­meißelt, obwohl ganz flach, bietet diese Technik die Wieder­gabe ungeahnter Raumdimension: vom blassen Plattenton bis zum tiefsten Schwarz, vom atmosphärischen Grau bis zur scharfen Kon­tur, die grafischen Regi­ster sind zahlreich wie sonst bei kaum einer Technik, ideal für Therese Eisen­mann, die jeden Bild­entwurf zeit­vergessen mit Bedacht langsam ent­wickelt.

Natürlich gibt es weitere und andere Kunstumstände, die oftmals das Pub­likum faszinieren: Auktionsrekorde, Pro­vokationen, Tabubrüche, Massenauf­triebe, Medienhype, Starkult und Kult­status, Sammelleidenschaft, technische Innovation und Umkehrung all dieser Phänomene, inkludierte Zukunftsvisionen und radikales Hinterfragen aller Traditio­nen: Als persönlicher Beweggrund für die Annäherung an Kunst sind diese Mög­lich­keiten alle durchaus legitim. Doch auf diesen Wegen erschließt sich das Werk von Therese Eisenmann nicht. Sie kommt ohne diese Seitenblicke und ohne die Seitenblickegesellschaft aus, sie scheut den vordergründigen Zeitgeist und ist gerade deswegen in ihren Werken so zeitlos überzeugend, zeitlos zeitgemäß, die nunmehrige große Auszeichnung, die sie für ihr Werk erhält, soll gleichzeitig exemplarisch Mut machen, sich als Künstler vom Mainstream des gerade Gängigen abzukoppeln und sich im ganz Persönlichen nachhaltig zu vertiefen.

Summa summarum: Therese Eisenmann weist schon in mittleren Jahren ein beeindruckendes Lebenswerk vor, insbesondere ein unverwechselbares: Gratulation.

Wolfgang Stifter,
Akademischer Grafiker und Maler, selbst Landeskulturpreisträger 2007




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